Gabriele Nutz

 

Sonett IX

 

Es ist schon der Anflug von Abenddämmer

In uns, streng mit dem Blick der Wirklichkeit

Betrachtet. Das hellgrüne Frühlingskleid

Ziert uns lange nicht mehr. Wir, einstens Lämmer,

 

Jetzt oftmals geschorene Schafe. Hämmer

Trafen unsere Häupter. Was uns Leid

War, wurde schwächer; doch auch stärker, seit

Wir erkannten, daß wir für immer Lämmer

 

Bleiben müssen, wenn das Herz überleben

Soll die Zeit der wahrhaften Grausamkeit,

Die Leben heißt. Von Angst zu Eitelkeit

 

Schwankend hin und her. Unwichtig daneben

Ist die Liebe nicht. Sie, einzig und wahr,

Kann wandeln uns in Gold das graue Haar.

 

 

 

Sonett III

 

 

Wenn je die große Liebe ohne Schranken

Sterben müßte, Todesposaunen dröhnten,

Hoffnungen keine blieben, die versöhnten,

So bleibt mir doch der Traum, in den wir sanken.

 

Für diese Wunder will ich ewig danken

Den Göttern, die das heil'ge Glück mir gönnten,

Dich zu lieben; nie gänzlich löschen könnten

Die Glut in jenem Kelch, aus dem wir tranken.

 

Wenn du mich liebst, und nur auf deine Weise

Sollst du dies tun, dann will dem Glück ich trauen.

In deinem Herzen wird mein Feuer brennen.

 

Nicht schwächer lieb ich, stärker, wenn auch leise.

Die Sehnsucht ließ mich in den Himmel schauen,

Und Himmel will ich deine Liebe nennen.

 

 

Sonett X

 

 

Ich seh dich wandeln unter roten Rosen.

Zerbrechlich stehen, leicht gebeugt, beschwert.

Was du dir selbst bedeutest, bin ich wert

In deinen Augen. Meine Stürme tosen

 

So verborgen wie die der meisten. Großen

Augenblicken bleibt Größe oft verwehrt.

Ich liebe dich wie ein geschliff'nes Schwert

Den Tod; zu ihm gehört es. Jene Posen,

 

In denen wir uns spiegeln, brauchen wir,

Um uns zu heilen von den vielen Wunden,

Die uns fürs Leben schmerzen: die Sekunden,

 

Die Vertrauen töten. So wächst die Gier.

Die will nur kriegen und sich fest anhalten

An Tand. Am Herzen nicht. Das mag erkalten.